Leseprobe

»Ma’am, do you want chicken or fish?«
Ich musste eingenickt sein. Eine ungefähr 16-jährige Flugbegleiterin beugte sich gerade über mich. Und sie nannte mich »Ma’am«.
Sah ich wirklich so alt aus?
»Chicken or fish, Ma’am?«
Sogar zwei Mal hintereinander.
»Hühnchen, äh, chicken … please.«
Die Flugbegleiterin war mit einem derart perfekten Äußeren gesegnet, dass sie glatt als asiatische Barbiepuppe hätte durchgehen können. Was man von mir nicht gerade behaupten konnte.

Aus dem Spiegel in den Waschräumen am Flughafen Singapur blickte mich Kate Moss nach einer durchzechten Nacht an.
Ohne Kippe.
Mit Übergewicht.
Und weniger Kohle.
Aber ich hatte schon einen über zwölfstündigen Flug hinter mir und kaum geschlafen.
Nach einer notdürftigen Gesichtswäsche sah ich auch nicht viel besser aus, hatte dafür aber große Lust auf eine Zigarette. Nur waren die 45 Minuten Umsteigezeit einfach zu knapp, um auf diesem riesigen Flughafen einen Raucherbereich zu finden.
Dabei wusste ich nicht einmal, ob ich in Bali bei den Yoga-Typen überhaupt rauchen durfte. Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Schlagartig wurde mir klar, wie wenig ich eigentlich über das wusste, was mich in Bali erwarten würde. Und wie wenig ich darauf vorbereitet war.
Ich in einem Yoga-Resort? Sogar in einem Hardcore-Camp, wo man zum YOGALEHRER ausgebildet wurde? Auf was hatte ich mich da bloß eingelassen!
Meine einzige Yogastunde zusammen mit Ina hatte an einem verregneten Samstag in Kölns angesagtem Yogastudio stattgefunden. Ich war aufgefallen. Weil ich keine Yogauniform trug – weder mit bunten Leggings, noch mit Baumwoll-Ringertop oder gar mit zum Dutt gebundenen Haaren hatte ich dienen können. Geschweige denn mit Idealgewicht. Und ich war oft mit herunterhängenden Armen in die Kindsstellung gegangen. Wirklich oft.
Andererseits – in Köln hätte ich es wirklich keinen Tag länger ausgehalten.

Noch zweieinhalb Stunden, dann wäre ich endlich da.
In Gedanken ging ich noch einmal meine Reiseapotheke durch. Selbstverständlich hatte ich den Fehler begangen, Dr. Google nach »Dengue-Fieber« zu fragen. Ich reiste also mit einem halben Apothekerschrank im Gepäck und fragte mich immer noch panisch, ob ich im Fall der Fälle gut versorgt wäre.
»Entschuldigung! Ja, sorry, ich müsste hier mal eben …«
Eine für meine aktuelle Stimmung etwas zu schrille Männerstimme riss mich aus meinen Gedanken. Sie gehörte zu einem über meinen Kopf gestreckten, haarigen Ellenbogen, der schmerzhaft mit mir kollidierte.
»Autsch!«
»Oh, äh, Miss, ‘tschuldigung, but I have to …«
»Was machen Sie da über mir?«, schnauzte ich den Mann an. »Gehen Sie sofort weg!«
»Ach so, you’re speaking german. That’s good, weil wissen Sie was? Ich müsste nur kurz diesen wunderschönen Sonnenuntergang …«
Ich setzte gerade zu einer wüsten Beschimpfung an, als eine kurze, aber mittelheftige Turbulenz den unbekannten Mann auf meinen Schoß beförderte. Mit dem Kopf nach vorne.
Neben dieser Tatsache irritierte mich vor allem das plötzlich einsetzende Nässegefühl auf meinem Schoß.
Er hatte doch nicht etwa?!
»Gehen Sie sofort runter von mir, Sie Idiot!«
Der Typ hatte sich schon wieder aufgerappelt, aber statt mich zu erlösen, fotografierte er mit ausgestrecktem Arm aus dem Flugzeugfenster.
»Moment noch, ich hab´s gleich … Ja, nee, Mist! Also, noch ein Versuch …«
»Sofort runter!«
Zwischenzeitlich waren zwei Flugbegleiterinnen auf uns aufmerksam geworden. Die beiden tippelten aufgeregt auf der Stelle.
»Ma’am, what happened?«
»Sir, are you okay?!«
»Was fragt ihr denn den? Bei MIR ist nichts okay, ihr Hühner!«, brüllte ich empört. »Holt mir jetzt den Perversen vom Schoß!«
»Na, na, na, meine Liebe! Also, ich bevorzuge da eher jemanden mit einem ordentlichen Schlüsselbund in der Hose, wenn du verstehst. Und außerdem«, er deutete auf meinen Schoß, »will ich dir ja nicht zu nahe treten, aber ich würde mir an deiner Stelle subtilere Anmachversuche überlegen als ein feuchtes Höschen.«
Erst jetzt bemerkte ich den rosa Flecken auf meiner Hose. Der Typ musste beim Umfallen meinen Singapore-Sling-Cocktail erwischt haben.
Bevor ich etwas erwidern konnte, beschwichtigte er:
»Ja, ich weiß, tut mir echt leid. Darf ich dich dafür auf einen neuen Drink einladen?«
Charme hatte er ja, das musste ich zugeben.
Und er sah verdammt gut aus: groß, dunkelblondes, volles Haar, das er als Undercut trug. Ein stattlicher, muskulöser Brustkorb zeichnete sich außerdem unter seinem T-Shirt ab. Wenn da nur nicht diese leicht näselnde Stimme gewesen wäre. Irgendetwas daran irritierte mich.
»Die sind doch hier eh gratis«, antwortete ich etwas verärgerter, als ich in Wirklichkeit noch war.
»Na und? Ist alles nur eine Frage der Inszenierung. Tun wir doch einfach so, als wären wir im ›Chateau Marmont‹ und du wärst Neil Patrick Harris! Außerdem sollten wir es jetzt noch mal krachen lassen, ich bin nämlich auf dem Weg zu einer Yogalehrer-Ausbildung in Ubud. Schätzchen, du kannst dir vorstellen, was mich da erwartet: Bein hoch, Arm hoch, no Coffee, no Cigarettes, no Alcohol, no Fun. Ich bin übrigens Ingo.«
»Freut mich, Ingo. Ich bin Mona. Und du wirst es dir jetzt schwer vorstellen können, aber ich befürchte, ich weiß so ziemlich genau, wie du die nächsten Wochen verbringen wirst.«

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